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Praxis-basierte, Praxis-geleitete oder Theorie-basierte Ph.D. Forschung in Kunst und Design?

Wie wird aus Praxis Forschung? In den letzten Jahren haben sich die Begriffe praxis-basierte (practice-based), Praxis-geleitete (practice-led) und Theorie-basierte Forschung in Kunst und Design etabliert. Von den angelsächsischen Universitäten stammend werden sie oft mit der akademischen Ph.D. Forschung in Verbindung gebracht.
Etabliert wurden die Begriffe 1993 von Christopher Frayling in seinem Text "Research in Art and Design".

Forschung über Design. Forschung durch Design. Forschung für Design

*(Jonas, 2007)

Über den Nutzen von Frayling's Modell wird oft und gerne gestritten - offensichtlich ist es jedoch robust genug um seit 1993 Gesprächstoff zu bieten.

Forschung über Kunst und Design

Auf Theorie basierend werden Kunstwerke oder Design teil historischer Forschung oder als Gegenstand der Wahrnehmung und Aesthetik diskutiert. Einige von zahllosen weiteren theoretischen Perspektiven wären strukturelle, soziale, ökonomische, ethische, kulturelle, ikonographische, technische oder semantische. Die Theorie benutzt den Gegenstand um neue theoretische Betrachtungsweisen und Inhalte zu diskutieren.

Forschung durch Kunst und Design

Hier steht die Praxis im Mittelpunkt. Dabei kann es sich um neue Materialien, Prozesse und Technologien handeln. Ebenso legitim wäre eine Schritt-für-Schritt Dokumentation eines praktischen Experiments mit Forschungstagebuch, eine Kontextualisierung der Arbeit, und die Kommunikation der Ergebnisse zur Diskussion. Zugrunde liegt eine Forschungsfrage oder ein Problem. Es kann sowohl explorativ oder systematisch vorgegangen werden. Wichtig ist hierbei ein gründliches, umfassendes, genaues und systematisches Vorgehen das von kontinuierlicher kritischer Reflektion begleitet ist. Die Ergebnisse der Forschung müssen kommunizierbar sein. Die theoretischen Erkenntnisse erwachsen aus der Praxis und informieren wiederum die Praxis. Die praktische Arbeit kann einen instrumentellen Charakter annehmen um eine Hypothese, eine Forschungsfrage oder ein Forschungsproblem zu erkunden. Der Forschungsprozess ist ein Lernprozess.

Forschung für Kunst und Design

Forschung für Kunst und Design basiert auf Praxis. Hierbei geht es um das Wissen das implizit im Artefakt enthalten ist. In einem gedrechselten Holzteller ist seine Herstellungsweise genau enthalten, und verschiedenen Forschern ist es gelungen aus den Herstellungspuren den Prozess oder die Werkzeuge zu rekonstruieren die notwendig waren das Artefakt zu erzeugen. Das Wissen wird visuell, ikonisch ober bildnerisch kommuniziert.

Dies ist keine legitime praxis-geleitete Forschung in Kunst und Design da es im Ph.D. Programm vor allem darum geht (implizites) Wissen explizit zu machen und das gewonnene Wissen zu kommunizieren. Das Argument das das gesamte Wissen - implizit - bereits im Artefakt enthalten sei mag zwar wahr sein, ist jedoch erst Forschung wenn es geteilt, getested und diskutiert werden kann. Dieser Ansatz hat die Diskussion um alternative PhD Formate und den multi-modalen PhD entfacht. Traditionell besteht der PhD jedoch aus einem geschriebenen Anteil der die Forschungsfrage oder das Forschungsproblem, die daraus resultierenden Methoden und den methodologischen Rahmen und die gewonnenen Einsichten explizit artikuliert und kritisch reflektiert.
Was ist eine Methodologie? Ein Rahmen aus Prinzipien, Prozeduren und Methoden deren Zusammenstellung sachkundig von einer relevanten Theorie oder Philosophie (Epistemologie, Ontologie) informiert wurde der selbst wiederum einen kritischen, reflektiven und analytischen Gegenstand des Wissens darstellt.

Linda Candy schreibt hierzu: "Wenn das kreative Artefakt selbst die Basis des Beitrags zum Wissenskanon darstellt, ist die Forschung praxis-basiert.
Wenn die Forschung primär zu neuen Einsichten über Praxis führt, ist sie praxis-geleitet.

Zu den Motivationen zu unterschiedlichen Arten von Theorie schreibt Ranulph Glanville das der grosse Unterschied zwischen jenen bestehe die theoretisieren wollen und [Kunst und] Design als bequemes Vehikel hierzu benutzten und jenen die entwerfen wollen und Möglichkeiten suchen diesen Vorgang zu erkunden.

Hintergründe zur Forschung durch Praxis

Der Debatte zur Praxis-basierten Forschung liegt der von Michel Polanyi ("tacit knowledge") ausgearbeitete Gedanke zugrunde das der Designer mehr weiss als er sagen kann. Donald Schön bezeichnet dies als die 'Krise professionellen Fachwissens'. Da Praxis-basierte Forschung in Kunst und Design relativ neu ist kollidiert diese hier mit dem in den Kunst-, Kultur-, und Literaturwissenschaften vorherrschenden Paradigma das Theorie eine privilegierte Art des Wissens darstellt. Wie kann 'tacit knowledge' im Rahmen akademischer Forschung anerkannt werden? Verschiedene Ansätze hierzu werden seit den 1990er Jahren auf internationalen Designforschungskonferenzen diskutiert.

Die verschiedenen Arten mit denen Fachleute auf Situationen reagierten die von Neuem und Ungewissheit bestimmt waren, veranlassten Schön dazu zu untersuchen welche Art von Denken Fachleuten anwandten um mit diesen Situation umzugehen.

Schön betrachtete den von Hochschulen als "Wissen" bezeichneten Begriff als limitiert, da da dieser nicht in der Lage ware 'praktische Kompetenz und fachmännische Kunstfertigkeit' zu erfassen. Er war daran interessiert was Architekten, Psychotherapeuten, Ingenieure, Planer oder Manager tatsächlich im Rahmen ihrer Praxis ausübten. Er hatte die Vermutung das sie mehr wussten als sie zu sagen in der Lage waren.
Währenddessen seien Universitäten einer bestimmten Epistemologie verpflichtet, die eine 'selektive Unaufmerksamkeit pflege' (Schon, 1983, vii). Sein Interesse galt nun herauszufinden wie es Fachleuten gelang durch die Ausübung ihrer Praxis zu neuem Wissen zu gelangen und dieses zu lernen. Schön war der Überzeugung das diese Art von fachmännischem Wissen besonders in Situationen auftrat die unklar, instabil, und einzigartig waren und in denen es zu Konflikte von Werten kam. Analytische Methoden konnten hier nur begrenzt helfen. Probleme waren miteinander verbunden, voneinander Abhängig, Zustände chaotisch und ständig in Bewegung. Aus diesen Gründen seien sythetisierende Fertigkeiten notwendig um wünschenswerte Ziele oder Zukünfte zu entwerfen und umzusetzen.
Schön schreibt: "Wenn es wahr ist das die fachmännische Praxis mindestens genau so viel damit zu tun hat das bestimmte Problem zu finden wie es zu lösen, dann ist es ebenso wahr das die Fähigkeit Problemstellungen zu ermitteln eine anerkannte fachmännische Aktivität ist." (Schon, 18)
Fachleute reflektieren nicht nur über vergangene Aktivitäten um sich auf die Zukunft vorzubereiten, sondern sie reflektieren auch während einer Aktionen. Reflektion in Aktion habe einen zentralen Stellenwert in der Kunstfertigkeit mit der Fachleute auf die Probleme und divergierenden Situationen der Praxis reagierten und im Zuge neue Arten der Problemstellung definierten in dem sie die Situation durch neue 'Experimentelle Rahmenbedingungen' betrachteten.(Schon, 62, 63)

Das Verhältnis von Theorie und Praxis

Ausführliche Diskussion zum Verhältnis von Theorie und Praxis in Praxis-geleiteter Ph.D. Forschung in Kunst und Design hier. www.hohlwelt.com/de/teaching/designresearch/phd-research.html#2629

Forschung im Handwerk

Sehr gut kann man dies erkennen in Richard Sennett's Buch "Handwerk". Am Beispiel von dem Violinenbauer Antonio Stradivari können wir sehen das viel Forschung erforderlich gewesen sein muss um eine ausserordentlich klingende Violine zu produzieren. In über einhundert einzelnen Arbeitschritten hatte Stradivarius dafür gesorgt das keiner seiner Mitarbeiter der Werkstatt einen kompletten Überblick über den kompletten Herstellungsprozess hatte. Die letzten vier Arbeitsschritte wurden vom Meister persönlich ausgeführt. Mit dem Tod von Stradivarius ging das Wissen um den Herstellungsprozess unwiderbringlich verloren da die genauen chemischen Zutaten und Umstände nicht dokumentiert waren.
Stradivarius hatte viele Jahre Forschung investiert um immer besser klingende Violinen zu produzieren. Donald Schön schreibt das wenn jemand während einer Aktion reflektiert bekäme er ein Forscher im Kontext der Praxis. Es ist diese kritische Reflektion die den Prozess dahingehend verändert das er zu einem tiefen Lernerlebnis wird. Schön sagt 'zu Forschung wird'. (Schon, 68).

Reflektion

John Dewey (auf dessen Schriften sich Donald Schön bereits in seinen frühen Arbeiten bezog) hat vier "Haltungen" identifiziert die notwendig seien reflektive Erkundigung erfolgreich zu kultivieren:

Aufgeschlossenheit d.h. frei sein von Vorurteilen und anderen Einflüssen die den Geist verschliessen und ihn unwillig stimmen neue Probleme zu berücksichtigen und neue Ideen in Betracht zu ziehen.
Aufrichtigkeit - mit Ganzem Herzen bei der Sache sein sowie ein persönliches Interesse.
Verantwortung im Bezug auf die möglichen Konsequenzen des Gelernten. Und schliesslich
'Gerichtetheit' Vertrauen in menschliches Handeln und der Glaube das etwas wert ist getan zu werden.

Dewey betrachtete diese als die Mittel eine reflektive Geisteshaltung anzunehmen und sie stellen die Methoden dar sich Nachforschungen zuzuwenden.

Quellen:
Dewey, John (1986), Volume 8 1933, The Later Works, 1925-1953, Southern Illinois University
Frayling, Christopher (1993),"Research in Art and Design"
Jonas, Wolfgang (2007), Design Research and its Meaning to the Methodological Development of the Discipline, in: Design Research Now, Basel available at http://8149.website.snafu.de/wordpress/wp-content/uploads/2011/07/2007_DRNow.pdf

Schon, Donald (1983), The Reflective Practitioner. How professionals think in action, London
Sennett, Richard (2008), Handwerk, Berlin Vlg.

letzte Änderungen: 5.7.02015 11:45

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